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«Wer hat Angst vor Sokrates?»
Das Philosophie-Happening «Wer hat Angst vor Sokrates?» wird auf der Grundlage von Platons «Apologie des Sokrates» entwickelt. Darin wird gezeigt, wie sich Sokrates vor Gericht gegen die Anklage zum Tode verteidigt bzw. nicht verteidigt, sondern durch die Darlegung seines Erkenntnis- und Lebenswegs seine Ankläger und das Gericht zur Einsicht in die Falschheit der Beschuldigungen führen möchte. Sokrates Vorgehen verfolgt aber nicht den Freispruch unten allen Umständen, sondern die Kohärenz mit seinen philosophischen Überzeugungen. Er wird trotz seiner einleuchtenden Widerlegung der Anklage verurteilt und muss den Schierlingsbecher trinken. Die «Apologie des Sokrates» ist das verstörende Gründungsdokument der westlichen Philosophie.
Das Happening findet an verschiedenen Orten am Goetheanum (23.6.,25.6., 8.-10.9.2023) und an der Sommertagung statt. Mitwirkende: Tamar Eskenian, Gotthard Killian, Thomas Meier und Michael Buseke.
Erste Werkstattaufführungen wurden beim multidisziplinären Kunstprojekt «Let’s Play Shedhalle» im September 2020 in Pratteln und im Theaterlabor «Siri 25» im Juli 2021 gezeigt. Weitere Aufführungen fanden im September 2021, im Mai und Juni 2022 in der Ermitage Arlesheim, sowie im September 2022 im Kannenfeldpark-Theater Basel und auf der Wiese hinter der Kirche St. Laurentius in Rodersdorf statt. Das Projekt wurde von Thomas Georg Meier und Michael Buseke im Februar 2020 angestossen. Die bildende Künstlerin Barbara Schnetzler und die Musiker*innen Tamar Eskenian und Gotthard Killian kamen später dazu.
Die Aufführungen am Goetheanum und an der Sommertagung Zürich werden von der BLKB-Stiftung für Kultur und Bildung gefördert.
Kommentare
Kommentar von Rainer F. Buseke |
Ich vermag mir kein Urteil über Sokrates zu erlauben, nur dies: Er rührt zur Nachdenklichkeit an. Er schafft es, Menschen unmittelbar in ein Nachdenken zu bringen. Dies ist besonders in der heutigen Zeit sehr fundamental. Außerdem ist der Moment im Spiel so heilsam, dass ein jeder etwas für sich mitnimmt. In Demut danke ich für einen einzigartigen Abend, der unbezahlbar bleibt und etwas in die Welt schickt, was in der heutigen Zeit mehr denn je gebraucht wird. 🙏🏻
Kommentar von Jonas Maienfisch |
Wer hat Angst vor Sokrates?
Ein Theaterprojekt in Rodersdorf
Als ich mich an diesem Sonntagmorgen, 18.09.2022, auf der Wiese hinter dem Milchhüsli einfand, entschwand mein Geist bereits ins antike Griechenland. Sokrates, der legendäre Philosoph aus Athen, stand in glänzendem Sonnenschein zwischen Kirche und Friedhof vor Gericht. Angeklagt wegen Missachtung der Götter und Verderben der Jugend soll er zum Tod verurteilt werden. In seiner Verteidigungsrede geht er der Anklage auf den Grund. Im Zentrum steht ein Orakelspruch: „Niemand ist weiser als Sokrates“. Sokrates hatte versucht, diesen zu widerlegen, da er in sich keine Weisheit finden kann und begann, weisere Menschen aufzuspüren. Aufgrund des Zweifelns an der Wahrheit eines göttlichen Orakelspruchs wird er damit als ungläubig verfemt. Auf seiner Suche nach weisen Menschen erkennt er sehr bald, dass sich viele für weise halten, es wenige aber in Wahrheit sind. Die Selbstwahrnehmung der Menschen entfernt sich dabei meist meilenweit von der Realität. Letztlich hilft es ihm nicht, er wird zum Tod verurteilt. Das Urteil und das kommende Sterben nimmt er gelassen entgegen, ja sogar bejahend.
Die grossartige und packende Inszenierung der „Apologie des Sokrates“ wurde zweimal in Rodersdorf aufgeführt, nachdem es bereits ein paar Wochen zuvor in Basel gezeigt wurde. Im Zentrum stand Schauspieler Michael Buseke, in Rodersdorf bereits bekannt als Übersetzer für die Asylkommission, welcher Sokrates verkörperte und damit die Verteidigungsrede kundtat. Den Zuschauenden kam dabei zwangsläufig die Rolle der Ankläger:innen zu, was sowohl spannend, als auch erschreckend war. Begleitet wurde der Monolog von stimmungsvoller Musik mit Gotthard Killian am Cello und Tamar Eskenian an verschiedenen Flöten. Die Musiker:innen fügten sich dabei gekonnt in die Szenen ein und belebten die Szenerie, welche mit grossen in der Erde steckenden Stangen eine Verbindung zwischen Himmel und Erde aufbaute. Als Darstellung der vier Elemente wurde Feuer, Wasser, Öl und Salz in die Performance eingebaut. Das erstaunliche an der Darstellung dieses Gerichtsprozesses aus der antiken Welt war aber seine Adaption auf das zeitgenössische Leben und unsere Gesellschaft. Erstens wurde den Zuschauenden eine neue Sicht auf den Tod gewährt, die nicht durch Verdrängung, sondern durch die Tatsache des unabdingbaren Daseins des Todes im Leben eines Menschen gekennzeichnet war und damit auch einen offenen Umgang und eine positive Sicht auf das Sterben ermöglicht. Durch die räumliche Nähe des Veranstaltungsortes zum Friedhof erhielt dieser Faktor eine zusätzliche Relevanz. Zweitens war es ein Appell an die Wahrheit und an die Gerechtigkeit. In Zeiten von Fake-News und Verschwörungstheorien lohnt sich die Suche nach der Wahrheit umso mehr. Drittens thematisierte die Aufführung unsere eigene Selbsterkenntnis. Wer sind wir und wie sehen andere uns? Reflektieren wir uns selbst realistisch? Nach der Inszenierung sind wir gewillt anzuerkennen, dass unsere Selbstwahrnehmung doch entscheidend von der Realität abweicht. All diese Punkte konnten die Zuschauenden nach dem dargestellten Tod Sokrates‘ mit den Mitwirkenden in einem langen offenen Gespräch diskutieren.
Letztlich bin ich glücklich, diese philosophisch-musikalische Reise in Rodersdorf gemacht haben zu dürfen. Trotz geringer Unterstützung wurde hier etwas Wunderbares auf die Beine gestellt und damit der Rodersdorfer Bevölkerung ein kultureller Leckerbissen serviert, der in manchem Kopf wohl noch lange nachhallen wird. Herzlichen Dank an die Mitwirkenden, ich hoffe, ihr beehrt uns demnächst wieder.
Jonas Maienfisch